Der Votansberg
DER UNTERSBERG BEI SALZBURG
Der Untersberg, von vielen im Volke auch der Wunderberg geheißen, steht eine Meile von
Salzburg an dem grundlosen Moos, wo einst vor alten Zeiten die große Hauptstadt Helfenburg
gestanden haben soll. Er ist 6798 Fuß hoch und überreich an Wäldern, Alptriften, Wild und
heilsamen Kräutern, an Marmor und anderm noch kostbareren Erz und Gestein. Ein altes Buch
sagt aus, daß öfters fremde Kunsterfahrene aus Welschland herbeikamen, die Erze und Minern
insgeheim bearbeiteten, nebenbei aber sich der Bosheit gebrauchten, die Fundgruben den
Umwohnern aus Neid zu verhehlen und zu verblenden. Zahllose Sagen gehen von dem
Untersberg im Munde des Volkes. Im Innern sei er ganz ausgehöhlt und mit Palästen, Kirchen,
Klöstern, Gärten, Goldund Silberquellen versehen. Kleine Männlein bewahrten die Schätze und
wanderten ehedem oft um Mitternacht in die Stadt Salzburg, in der Domkirche daselbst
Gottesdienst zu halten. Auch höre man des Nachts in diesem Wunderberge Kriegsgetümmel
und Schlachtgetön. Zur mitternächtigen Geisterstunde kommen die Riesen hervor, steigen zum
Gipfel und schauen gen Osten unverwandt; wenn es dann Zwölfe schlägt, erlischt ihr
vorausgehend Flammenlicht, die Riesen verschwinden, und es treten die Zwerge aus dem
zaubervollen Bergesinnern und brechen das Erz und hämmern am Gestein, oder sie wandeln,
mit netzförmigen Häubchen bedeckt, mitten unter dem weidenden Vieh umher.
Vieles auch weiß die Sage der Umwohner von den wilden Frauen des Untersberges zu
berichten; wilde Frauen in weißen Gewändern, mit fliegenden Haaren, an den Firsten des
Berges. Sie sangen schöne Lieder.
Im Schoß des Berges sitzt verzaubert ein alter Kaiser. Einige sagen, Karl der Große sei es,
andere nennen Friedrich den Rotbart, der sich in das Unterschloß auf dem Kyffhäuser in
Thüringen verwünscht haben und dort noch sitzen soll. Wieder andere lassen Kaiser Karl V
den sein, der im Untersberge verzaubert weile. Mancher soll ihn gesehen haben mitten im
Kreise glänzender Wappner, sitzend an einem Tisch von Marmelstein, durch welchen ihm der
Bart gewachsen, der fast dreimal um den Tisch reicht. Wann er zum dritten Mal die letzte Ecke
erreicht, dann wird der Antichrist erscheinen, dann wird die große Schlacht auf dem
Walserfelde geschlagen, die Engel stoßen in ihre Posaunen, und der jüngste Tag bricht an.
Auch die Tochter des Kaisers wohnt daselbst und hat sich zum öftern freundlich gegen solche
gezeigt, die zu günstiger Stunde in den Berg traten. Zu heiligen Zeiten will man wahrgenommen
haben, daß der große Kaiser sich mit seinem Hofgesinde oder aber mit den Mönchen von
Sankt Justus in der Domkirche zu Salzburg um Mitternacht eingefunden, die Mette mitgesungen
und dem Hochamte beigewohnt, welches sein Hofpfarrer oder der Prior von Sankt Justus oder
wohl gar ein großer Kirchenprälat zelebriert, der zugleich mit ihm in den Untersberg verwünscht
worden ist. Zu solchen Zeiten wallen die vertriebenen Mönche in langen Zügen durch Erdklüfte
unter Seen und Flüssen nach den benachbarten Kirchen und halten in Sankt Bartholomä (am
Königssee bei Berchtesgaden), in Grödig, im Münster Berchtesgadens und im hohen Dome der
Metropolis zur Mitternachtsstunde unter Glockenklang und Orgelton den Gottesdienst. Auch
vernimmt man bisweilen kriegerische Musik aus des Berges Höhlen und Klüften, besonders bei
bevorstehendem Kriege. Ritter und Reisige durchschreiten in glühenden Panzern, auf
Flammenrossen und mit funkensprühenden Waffen die Gefilde der Umgegend, sich zur Pein
und dem Landmann zum Schrecken. Mit anbrechendem Tage eilen sie in den Untersberg
zurück durch eine nur selten und nur wenigen sichtbare eherne Pforte, welche beim Hallturm
hinter den Trümmern der Burg Plauen zwischen den Steinklüften eingestürzter Felsen zu Tage
geht.
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